Der Dirigent Hartmut Haenchen feiert Geburtstag. Die SLUB widmet ihm eine Ausstellung – und wird ihrerseits vom Jubilar beschenkt.
Enorm anrührend sei das für ihn, sagte SLUB-Direktor Thomas Bürger zu Beginn der festlichen Matinee, die die SLUB für den Dirigenten Hartmut Haenchen ausgerichtet hatte - denn es geschieht nicht jeden Tag, dass ein Bibliothekar eine thematische Sammlung entgegennehmen darf, in der die Erfahrung von Jahrzehnten steckt. Hartmut Haenchen, der dieser Tage siebzig Jahre alt wird, hat der Sächsischen Landesbibliothek – Staats- und Universitätsbibliothek seinen Vorlass vermacht. Das Paket, das dem Haus nun übergeben wird, umfasst dreitausend eingerichtete Partituren, umfangreiches Orchestermaterial und auch einige bibliophile Kostbarkeiten, unter anderem die seltene Notenausgabe eines Geigenduos, das der junge Richard Wagner aus einer Donizetti-Oper exzerpierte, oder eine kostbare Handschrift des Komponisten Richard Strauss.
Warum Haenchen der Bibliothek dieses große Geschenk macht? Sicher, er ist Künstler, Dirigent, aber Hartmut Haenchen ist auch durch und durch ein Bibliothekenfreund, ein Forscher, ein Stöberer. Mit fünfzehn hockte er in der Landesbibliothek und schrieb ein Requiem von Johann Adolph Hasse ab. Seitdem gibt es unzählige editorische oder dirigierpraktische Schriften von ihm – plus eine Sammlung von Plakaten, die die tausenden Konzerte seiner Berufskarriere ankündigten. "Vierzig Jahre Druckgrafik" nannte Bürger dieses Spezialkonvolut lachend – es korrespondiert mit den 130 CDs, die der Jubilar im Laufe seiner Dirigentenkarriere aufgenommen hat und nun ebenfalls der SLUB vermacht.
Man kann diese Geste auch als freundschaftliches Handreichen eines Dirigenten lesen, der lange mit seiner Heimat gehadert hat. Im Streit mit der Parteileitung hatte der junge Dirigent seine erste Musikdirektorenstelle geschmissen, es folgte de facto ein landesweites Arbeitsverbot, das Haenchen mehr oder minder zur Ausreise zwang. 1986 war es soweit - der Staat ließ ihn ziehen, schöpfte aber bis zu seinem eigenen Untergang Tantiemen von Haenchens Valuta-Honoraren ab. Nach der Wende kam Haenchen wieder, wurde Intendant der Dresdner Musikfestspiele. Doch auch diese Zeit, die der künstlerische Höhepunkt einer Weltkarriere hätte werden können, brachte Kummer abseits des Dirigentenpodiums. Haenchen kämpfte gegen die Waldschlößchenbrücke, kämpfte gegen die Kulturpolitik, kämpfte um das Budget seines Festivals. Am Ende schrieben die Zeitungen von einer "bitteren Bilanz" (Morgenpost); Haenchen sei "in 'tiefer Depression'" gegangen (LVZ), "Ruhm und Anerkennung" wollte sich unerklärlicherweise "nur im Ausland" einstellen (Morgenpost). Fortan machte sich der Dirigent in Dresden rar, dirigierte in Spanien, Italien, den Niederlanden. Den Vorsitz eines Dresdner Freundesvereins, der sich für ein neues Konzerthaus einsetzen will, legte er nach erneutem kurzem, heftigem Ringen mit der Politik nieder.
Nun aber: der Vorlass. Wird es eine vorsichtige Annäherung zwischen Hartmut Haenchen und der Musikstadt Dresden geben? Ein Signal haben die Musikfestspiele gesetzt, die unter Haenchen-Nachfolger Jan Vogler die Kulturpolitiker der Stadt geschickt umarmen. Am 30. Mai dirigiert Hartmut Haenchen im Rahmen der Festspiele ein "Heimspiel" in der Frauenkirche. Viele alte Freunde, Kruzianer, Laiensänger, Orchestermusiker werden da sein und zuhören. Diesem Weltreisenden, diesem "netten Kerl, der niemals Zeit hat" (Thomas Bürger).
Martin Morgenstern




