Erwin Stache lebt bei Leipzig – Seine Klangmaschinen und -apparate stehen auf den großen Festivals.
Genau so stellt man sich das vor, wenn man Erwin Staches Klangobjekte und Performanceprojekte schon eine Weile verfolgt: Alles hat seine Ordnung im gemütlichen Haus in Beucha bei Leipzig, dennoch beinhaltet diese Ordnung Dinge, die sich nicht in jedem Haushalt finden. Alte Wählscheibentelefone zum Beispiel, noch mit dem Hinweis auf die Nummer der Volkspolizei. Sogar ein rotes ist Bestandteil einer ungewöhnlichen Klangmaschine. Oder merkwürdige Trommeln mit Pedalen daran, die so lose und filigran eindeutig nicht zu irgendwelchen Fitnessgeräten für zuhause gehören. Kabel und Widerstände, kleine Lautsprecher im Ganzen allemal. Und Noten. Hier trifft Kunst auf Bastelei, Kreativität auf System. Seit fast drei Jahrzehnten baut der Klangkünstler seine Apparate, entwickelt Audio-Konzepte für Museen und die sind gefragt: Sicher unter Musikern ist er ebenso ein Sonderling wie unter ausschließlich in der Bildenden Kunst beheimateten Installationskünstlern. Dabei kam ein zentraler Impuls aus seiner Leidenschaft für die Mathematik. Von Kindheit an, erinnert er sich, war er eher zu vielseitig: Mathematik und Musik – er spielt verschiedene Instrumente -, Fußball und Basteltrieb griffen ineinander. Und so ist es bis heute – überall findet Erwin Stache Impulse für seine Arbeiten. Auf der Straße – wo er die Schlaglochdichte in eine Partitur umrechnet – findet er seine Geschichten; oder in Baumärkten – wo er zufällig feststellt, dass Bodenhülsen je nach Hersteller einen anderen Klang haben. Es sind diese Geschichten, die er in seinen Objekten, Installationen und Performances verarbeiten will. Das heißt: Erwin Stache zieht nicht los und sucht, sondern er findet.
Einige Objekte, Geräte und Kleinteile hat der Klangkünstler für seine Abreise ins Thüringische Stelzen bereitgestellt. Andere werden gerade verpackt, weil Sohn Benjamin mit seinem Ensemble ATONOR am Abend eine Performance spielen wird.
Es fällt schwer, dem Impuls zu widerstehen, unwillkürlich Hebel und Pedale zu betätigen und zu lauschen, was dann wohl passiert. Und vieles von dem, was hier steht, ist auch genau so gedacht. Die Pedalmaschine, die der Künstler gerade zur Abholung vorbereitet, steht in einer uralten Tradition von Musikautomaten: Durch Betätigen der Pedale treibt der Spieler den Musikfluss voran, bestimmt das Tempo, kann den Verlauf stocken lassen und und und. Und er kann rückwärts spielen. Tatsächlich. Und Erwin Stache weiß, dass Mozart rückwärts immer noch ziemlich nach Mozart klingt. In diesem Falle ist es Schumann: der scheint beim ersten Versuch ein wenig dramatischer zu werden.
Auch wenn man den Künstler darauf keinesfalls reduzieren kann, die witzig spielerische Komponente ist die treibende Kraft hinter seiner Ästhetik; dass sich damit auch ernsthafte und traurige Themen durchaus adäquat behandeln lassen, muss man dann und wann wieder betonen. So finden sich Installationen aus Staches Werkstatt nicht nur auf einem Klangspielplatz in Brandis, auf dem konventionelle Spielgeräte Musik machen, als interaktiver Musikdroschken-Parcours in Schwetzingen, bis vor Kurzem im Jutta-Turm bei Grimma, sondern zum Beispiel auch auf dem Friedhof in Leipzig-Lindenau. Hier schaffen begehbare Klangplatten und eine Klangsäule faszinierende Sphärenklänge. Es sind wohl diese Klangmaschinen und -installationen, mit denen man Erwin Stache am ehesten in Verbindung bringt – doch diese existieren nicht im luftleeren Raum. Manch Projekt orientiert sich ausdrücklich an musikalischen Avantgardekonzepten – an John Cage zum Beispiel. Für Donaueschingen arbeitete Stache. Dann wieder suchen seine Arbeiten das Ästhetische im Alltäglichen.
Der Terminkalender des Künstlers ist gut gefüllt. Seine Objekte und Konzepte sind gefragt. Dabei ist jenes verlängerte Wochenende im Juli bei den Stelzenfestspielen gesetzt. Eine Woche Vorbereitung vor Ort, damit die Landmaschinensinfonie auch in diesem Jahr eine Mischung aus Bewährtem und Innovativem zu bieten hat. Von Beginn an gehörte Stache zu den treibenden Kräften hinter dem Festival im Grenzgebiet zwischen Sachsen und Ostthüringen. Die klanglichen Möglichkeiten von Traktoren, Melkmaschinen oder der inzwischen fest installierten Gülleorgel faszinieren anhaltend und lassen sich Jahrgang für Jahrgang weiterentwickeln.
Ebenfalls mindestens bundesweit sind die Apparate des aus dem Erzgebirge stammenden und in Leipzig groß gewordenen Bastlers über Museen verstreut. Individuelle Konzepte, die Räume erlebbar machen oder konkrete Klänge zugänglich, die aber auch immer eine spielerische Komponente ins Didaktische so mancher Ausstellung bringen.
Dass Erwin Stache sich nicht auf eine Seite reduzieren lässt, macht ihn besonders interessant – mag aber auch ein Grund dafür sein, dass er einen absoluten Sonderplatz unter den vielen Klangkünstlern behauptet. Das allerdings außerordentlich souverän.
Tatjana Böhme-Mehner
