Der Cellist Lukas Dreyer organisiert seit 2007 die »Musik Kammer« beim Leipziger Wave Gotik Treffen. Dieses Jahr darf er erstmals ins Allerheiligste des Festivals einziehen: ins Völkerschlachtdenkmal. Erklingen werden dort Musiken aus »Der Hobbit« und »Der Herr der Ringe«. Dabei legt Dreyer aber auch Wert auf historische und stilistische Breite. Neben Filmmusik erklingt dieses Jahr mehr Jazz.
Ob er schon über die Kleiderordnung nachdenke im Hinblick auf das Wave Gotik Treffen? Die Frage ist Lukas Dreyer gewöhnt. Nein, auch wenn er mit seinen diversen Projekten längst einen festen Platz im Programm des Leipziger Festivals erobert hat, das zu erreichen versuche er erst gar nicht, was viele Besucher an Aufwand betreiben in Sachen Outfit. Voller Bewunderung ist der Cellist dafür und freut sich auf begegnungsreiche, inspirierende Tage. Aber aussehen werde er wie immer. Und das empfehle er auch jedes Mal den Künstlern, mit denen er in seiner »WGT Musik Kammer« zusammenarbeitet.
Obwohl man die Einrichtung nicht so leicht ausfindig machen kann im gigantischen WGT-Programm, ist das, was 2007 mit einzelnen Konzerten begann, die der damalige Solo-Cellist des Philharmonischen Orchesters Altenburg-Gera im Rahmen des Kultereignisses organisierte, längst kein Geheimtipp mehr. Gewaltig ist der Run auf die Konzerte der »Musik Kammer«, die seit 2011 unter diesem Namen stattfinden. Besucherzahlen, von denen Kammermusik sonst nur träumen kann, sind der Regelfall. Immer neue Projekte konzipiert Dreyer in Zusammenarbeit mit Kollegen aus aller Welt und verschiedensten Genres. Inzwischen hat Nachwuchsarbeit einen ebenso festen Platz in der WGT Musik Kammer wie der Dialog mit anderen Künsten.
Nach 14 Jahren als Solocellist des Philharmonischen Orchesters Altenburg-Gera kündigte der heute 45-Jährige letztes Jahr sein Engagement bei Theater & Philharmonie Thüringen. Die Lehrtätigkeit – seit 2010 ist er bereits festes Mitglied des Lehrkörpers der Hallenser Hochbegabtenschule Latina – und seine zahlreichen kammermusikalischen Projekte führten den Musiker zu dieser Entscheidung. Kammermusik gehörte von jeher zu den zentralen Interessen des Cellisten. Sein Streichquartett während seiner Studienzeit in Frankfurt am Main und Aachen war sogar das erste derartige Ensemble überhaupt, das ein Stipendium des Deutschen Akademischen Austauschdienstes (DAAD) für einen Auslandsaufenthalt zum Kammermusikstudium erhielt – ein Jahr lang vervollkommnete er in Budapest auf diesem Gebiete seine Fähigkeiten. Und auch die Gründung seines Celloquartettes quattrocelli, für das er von Beginn an auch als Arrangeur tätig war, reicht bereits in jene Zeit zurück. Das Unterrichten, das sich zu Studienzeiten aus der Notwendigkeit heraus entwickelte, etwas dazu verdienen zu müssen, hat sich längst zum Bedürfnis, zur künstlerischen Bereicherung und zur vertrauten Gewohnheit entwickelt.
Dieses Jahr kommt der Jazz dazu
Insofern laufen in der WGT Musik Kammer fast zwangsläufig Tätigkeitsfelder und Ideen zusammen: Erstmals wird in diesem Jahr ein Kammermusikkurs für Laien einen zentralen Platz in der Musik Kammer haben. Wie bei fast all seinen Projekten ist es dem bekennenden Kammermusiker auch hier besonderes Anliegen, selten gespielten Komponisten einen Platz einzuräumen und vielleicht sogar den Weg ins Repertoire zu ebnen. George Enescu und Alfredo Casella stehen beispielsweise auf dem Programm oder aber Henrique de Curditiba. Dabei legt Dreyer Wert auf historische und stilistische Breite. Er selbst wird dieses Jahr konsequenter die Richtung Jazz einschlagen, nachdem er im vergangenen Jahr mit quattrocelli mit überraschenden Spontankonzerten an den unterschiedlichen Festival-Locations oder schlicht im schwarzen Getümmel auf Leipzigs Straßen für Aufsehen sorgte. Mit der musikalisch-literarischen Begegnung von Chick Corea und Edgar Allen Poe beschreitet Dreyer neue Pfade. Dass die Veranstalter des Festivals in diesem Jahr der Musikkammer erstmals einen Platz im Allerheiligsten des WGT einräumen, im Völkerschlachtdenkmal, macht Lukas Dreyer spürbar stolz – dann erklingen Musiken aus »Der Hobbit« und »Der Herr der Ringe«.
Zwei Punkte sind wesentlich für Lukas Dreyer, sich in dem einzigartigen Festival, das jährlich zu Pfingsten Tausende an die Pleiße lockt, einzubringen: die Möglichkeit, ein Publikum zu erreichen, das er sonst niemals treffen würde, und die idealen Bedingungen, unter denen man hier auch einmal größer angelegte Projekte realisieren könne; Proben- und Arbeitsräume eingeschlossen, in denen intensivere künstlerische Begegnungen möglich werden. Die Besucher des WGT sind für ihre Offenheit und Neugier bekannt. Und das ist eben eine große Chance für jeden Musiker.
Als ideale Bühne zum Ausprobieren sieht Lukas Dreyer die Kammer für sich; und als solche wird sie auch von seinen Gästen geschätzt. Die wüssten inzwischen, dass mit der WGT Musik Kammer zwar wirtschaftlich nicht direkt Gewinn zu machen sei. Aber von der Bereicherung durch Begegnung und Austausch, der experimentellen Erfahrung einmal abgesehen, habe die Teilnahme für einige Musiker inzwischen auch nachweisbare Folgen gehabt. Nicht zuletzt, weil der Cellist eine professionelle Videodokumentation von den Musik Kammer-Projekten produzieren lässt, ist für die Beteiligten ein gewisser Mehrwert garantiert. Eine Investition in Ideen“ ist die Teilnahme für den passionierten Kammermusiker und Pädagogen.
Dass die pädagogische Komponente in den nächsten Jahren wachsen werde, das sei wohl eine Folge seiner auch ansonsten immer weiter wachsenden pädagogischen Aktivitäten.
Dass die Organisation eines solchen Festivalteils viel Zeit und Kraft fordert, ist klar. Dreyer ist froh, dass das WGT da ideale Rahmenbedingungen und Unterstützung bietet. Dennoch sinniert er: »In gewisser Weise ist das in meinem Leben immer so gelaufen. Ich merke zunehmend, dass ich nicht nur gern Musiker bin, sondern, dass es mir wichtig ist, Musikern kreative Räume zu ermöglichen.« Für die eigene Arbeit bedeute das, immer wieder die richtige Balance zwischen den Tätigkeitsfeldern zu finden. Und dann lerne auch der Lehrer stetig dazu.
Tatjana Böhme-Mehner
