Interview |

»Heimat ist immer da, wo man gebraucht wird«

Der Dirigent Hartmut Haenchen gastiert anlässlich seines 70. Geburtstages ein weiteres Mal bei den Dresdner Musikfestspielen – dem Festival, das er ehemals selbst als Intendant geleitet hat. Künstlerisch macht er sich in Dresden ansonsten rar – mit vielen kulturpolitischen Entscheidungen der Stadt kann er sich immer noch nicht anfreunden.

Er ist prominenter Sachse, umtriebiger Dirigent, dazu ein permanenter Forscher und Mahner in Sachen Kultur. Wo andere sich bei der Erreichen der Altersmarke von 70 zur Ruhe setzen, ist Haenchen mitten in seinem Element. Auf die Frage, was er an seinem Ehrentag mache, antwortet er »Arbeiten, was sonst?«. Haenchen ist als akribischer Musiker bekannt und gibt sich selten mit den Terminzwängen der Theater und Orchester zufrieden. Stattdessen setzt er auf sorgfältiges Quellenstudium und fordert den Nachvollzug auch von seinen Musikern.

In Dresden ist Haenchen im Kreuzchor unter Rudolf Mauersberger aufgewachsen und wurde an der Musikhochschule Dresden als Dirigent ausgebildet. Schon bald erhielt er Engagements in Halle, Zwickau, Berlin und Schwerin und startete eine Karriere, die ihn heute um den ganzen Erdball führt. 1980 übernahm er die Leitung des Kammerorchesters Carl Philipp Emanuel Bach, mit dem er bevorzugt barocke und frühklassische Werke aufführt, Haenchen hat sich aber auch immer für die Musik der Gegenwart eingesetzt und zahlreiche Uraufführungen erarbeitet. Der Schwerpunkt seiner Arbeit lag ab 1986 in den Niederlanden, wo er die Niederländische Philharmonie dirigierte und bis heute Produktionen an der Oper in Amsterdam, deren Chef er 13 Jahre war, leitet.

Die Verbindung nach Dresden hat Haenchen indes nie aufgegeben - »Ich bin auch im Exil immer ein Dresdner geblieben und versuche zu helfen, wo ich kann.« Bereits nach seinem Studium musizierte er mit der Dresdner Philharmonie und an der Staatsoper, 1985 wurde er zum Professor an der Musikhochschule berufen. 2002 bis 2008 war Haenchen Intendant der Dresdner Musikfestspiele, 2009 übernahm er den Vorsitz der Konzerthaus-Stiftung in Dresden und ist bis heute ein wachsamer Beobachter der Dresdner Zeitläufte. »Heimat ist immer da, wo man gebraucht wird«, äußert Haenchen im Gespräch und sieht sich als musikalischer Botschafter der Stadt.

Neueinspielungen mit Dresden-Reminiszenzen

Gerade diesen Aspekt zeigen auch die beiden CD-Neuveröffentlichungen des Dirigenten. Zum einen Gustav Mahlers 8. Sinfonie, zwar eine Amsterdamer Aufführung aus dem Jahr 2002, aber unter Mitwirkung des Dresdner Philharmonischen Kinderchores und der Kapellknaben – kurz zuvor hatte Haenchen mit diesem Werk seine erste Spielzeit als Festspielintendant begonnen. Auf der Doppel-CD ist mit der 1. Sinfonie eine weitere Mahler-Sinfonie vertreten – Haenchens hat dem Komponisten Schriften, Bücher und mehreren Konzertzyklen gewidmet. Die andere CD zeigt typische Dresdner Hofmusik des 18. Jahrhunderts: Johann David Heinichens Freiluft-Serenata »La Gara degli Dei«, komponiert zur Hochzeit Friedrich August II. mit Maria Josepha ist auf CD eine Erstveröffentlichung und stellt Haenchen als Sachwalter der Musik seiner Heimatstadt vor. Zur Sächsischen Landesbibliothek, wo viele dieser Notenblätter verwahrt sind, pflegt Haenchen regen Kontakt. Eine Würdigung der SLUB mit einer Ausstellung zu seinem 70. Geburtstag beantwortete Haenchen prompt mit der Überlassung seines Vorlasses - Bücher, Handschriften, die kompletten CD-Veröffentlichungen (es sind über 120 Produktionen) und einige Hundert Partituren.

Nun gibt es erneut ein Heimspiel – fünf Jahre nach Beendigung seiner Intendanz kehrt er am 30. Mai nach Dresden zurück und gastiert auf Einladung von Jan Vogler mit den Stockholmer Philharmonikern. Das Stockholmer Orchester, so Haenchen, weise ebenfalls eine Verbindung zu Dresden über seine früheren Dirigenten Fritz Busch und Herbert Blomstedt auf. Nach seinen Gefühlen angesichts dieses Konzertes befragt, erwacht der kritische Geist Haenchen sofort: trotz des »herrlichen Raumes« stellt er im Gespräch sofort klar, dass die Frauenkirche kein adäquater Konzertsaal sei und bereits Richard Wagner diesen für Dresden gefordert habe. Mit dem Pfund der Musikstadt werde in Dresden nicht gewuchert, so Haenchen, und er wünscht sich von der Stadt ebenso wie den Dialog auch den Mut zu Visionen. Haenchen dirigiert im Konzert in der Frauenkirche die 95. Sinfonie von Joseph Haydn, würdigt den Jubilar Benjamin Britten mit der Aufführung von »Lachrymae« für Bratsche und Streichorchester (Solistin: Tabea Zimmermann) und rundet das Programm mit der 8. Sinfonie von Franz Schubert, der so genannten 'Großen', ab.

Alexander Keuk

Mitwirkende: Alexandra Coku, Carola Höhn, Simone Nold, Katharina Kammerloher, Annette Markert, Ralph Eschrig, Olaf Bär, Kammerorchester Carl Philipp Emanuel Bach, Hartmut Haenchen

BERLIN CLASSICS

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