Seit 20 Jahren bringt das Jugend-Jazzorchester Sachsen musikalische Talente zusammen. Am 5. Oktober spielen die nun zum Jubiläumskonzert in der Dresdner Musikhochschule auf.
„Das waren jetzt alle polyphon gegeneinander. Noch einmal bitte!“ Moritz Sembritzki sitzt über Noten gebeugt. „Ab ‚fruh‘“, fordert der Leiter des Jugend-Jazzorchesters die im Kreis um ihn herum sitzenden Musiker zum Spiel auf. Mit konzentrierten Minen warten die jungen Menschen auf ihren Einsatz. Tom am Schlagzeug gibt lächelnd den Takt vor. Hannah an der Trompete bläst los, ihre Augen strahlen. „Gregor, wir noch nicht“, wird der Posaunist von seiner Nachbarin am Basssaxophon zurückgehalten, bis auch sie einstimmen – „Die Gruppe von eben zusammen mit dem restlichen Blech.“ Dann spielen alle zusammen und sind an diesem ersten Probetag Ende September gleich sichtlich in ihrem Element.
„Klassik ist eigentlich auch geil“, erwidert Gregor auf die Frage, warum ein so junger Typ wie er auf Jazz steht. Popmusik allerdings ist dem 17-Jährigen zu seicht. Das liegt vielleicht auch daran, dass in aktuellen Radio-Melodien selten Posaunen ertönen. Und das Blechblasinstrument ist Gregors Leidenschaft. Der junge Mann bereitet sich am Landesgymnasium für Musik in Dresden auf sein kommendes Musikstudium vor und ist Mitglied im Jugend-Jazzorchester Sachsen. Dafür vorgeschlagen hat ihn sein Musiklehrer, der früher selbst in diesem Ensemble spielte. Seit 20 Jahren leistet dieses musikalische Nachwuchsförderung – offensichtlich nachhaltig.
„Man lernt eine unglaubliche musikalische Bandbreite kennen, auch von zeitgenössischem Jazz“, schätzt die 23-jährige Hannah das Musizieren im Jazzorchester. Seit 2007 ist die angehende Musiklehrerin dabei. Sie liebt das Reisen, das die Orchesterarbeit ermöglicht – war etwa in Indien und Kanada –, die Intensität und Zusammenarbeit mit guten Musikern. Hannah wollte immer schon Trompete spielen, musste aber – um ihre Milchzähne zu schonen – einen Umweg über das Akkordeon nehmen. Als sie dann vor der Wahl stand zwischen Jazz und Klassik, fiel ihr das leicht. „Jazz ist ja viel cooler“, sagt sie. „Ich finde das Improvisieren, den freieren Umgang mit dem Instrument spannend.“ Auch Schlagzeuger Tom, 19, ist mit Begeisterung dabei. Seit vier Jahren spielt er im Ensemble, wurde als Gewinner des Solo-Wettbewerbs „Jugend jazzt“ entdeckt. „Jazz habe ich über meinen ersten Musiklehrer kennengelernt, das hat sich dann immer weiter entwickelt und ist meine absolute Vorliebe geworden.“ Wie Hannah lobt er die Abwechslung, die sich aufgrund der wechselnden Projektleiter im Orchester ergibt.
Das ist auch das Ziel des Ensembles, in welchem talentierte Jungmusikern im Alter zwischen 14 und 26 zusammenkommen: Die Mitglieder sollen verschiedene Handschriften kennen lernen, sich in Stilen und Arbeitsweisen üben. Bis 2003 war das noch anders. Solche Instrumente der Nachwuchsförderung gab es in anderen Bundesländern schon länger, als sich sächsische Profimusiker 1993 fragten, warum es so eine Institution nicht auch im Freistaat gibt. Sie gründeten ihr Jugend-Jazzorchester kurzum selbst. Stand es die ersten zehn Jahre unter fester Leitung, um sich zu etablieren, wechselt diese seitdem, um die Vielfalt zu ermöglichen.
Eine solche wird auch beim Jubiläumskonzert zu hören sein, wenn neben den aktuellen Ensemblemitgliedern auch ehemalige und Dozenten als Gäste mit dabei sind und bei jedem Stück die Besetzung variiert. Insgesamt wird das Konzert zwischen extrovertiert-humorvollen und lyrisch-konzentrierten Stücken oszillieren. Er finde es „super“, sagt der diesjährige musikalische Leiter Moritz Sembritzki, „so viele gute Leute mit großem Faible für die Musik anzuleiten.“ Seine Kompositionen, eine Mischung aus Big Band und Marching Band, haben das Jazzorchester diesem Sommer nach Rumänien geführt. Der Musiker hat die Nachwuchsförderung persönlich früh schätzen gelernt, hat er doch selbst das Jugendjazzorchester in Niedersachsen besucht.
Das sächsische Ensemble besteht aus einem Pool von ungefähr 50 jungen Musikern, aus denen pro Jahresprojekt rund zwei Dutzend – davon nur drei, vier Frauen – zusammenfinden. Meistens findet das Üben blockweise in den Ferien statt – die Orchesterarbeit muss ja zeitlich in den Alltag der Musiker passen. In den 20 Jahren haben über 250 junge Musiker im Ensemble gespielt. Daraus ist ein Netzwerk zur gegenseitigen Unterstützung entstanden, ohne dass es wohl gar nicht geht: 11.500 Euro pro Jahr verdienen professionelle Musiker laut aktueller Studie des Deutschen Kulturrats.
Deshalb erachtet Sembritzki die Vernetzung und das gegenseitige Kennenlernen für wichtig. Auch für ihre eigene Zufriedenheit sei es wichtig, die Musiker von Anfang an zu unterstützen. „Sachen, die Spaß machen, bringen im musikalischen Berufsleben meist nicht so viel Geld wie der Auftritt als Zweckmusiker. Kompromisse zu machen ist klar und gut, vernachlässigt man aber, was einem eigentlich beim Musizieren am Herzen liegt, steigt der Frust. Dann kann man auch fragen: Warum hat man keinen anderen Job angenommen?“ So ist neben der dezidierten Talentförderung der gemeinschaftliche Aspekt von Bedeutung. Denn nicht jeder junge Jazzmusiker hat es mit seiner Neigung leicht im persönlichen Umfeld. Die Erfahrung, dass andere die Leidenschaft teilen, kann sie ermutigen, den eigenen Weg zu gehen. Gregor brauchte dies nicht. Er wusste irgendwie immer schon, dass er Jazzer werden will – und findet heute Klassik auch gar nicht so schlecht. Wie Hannah, die sagt: „Erst später entdeckte ich für mich die Klassik als wichtiges Element.“
Tobias Prüwer

