Sie musizieren auf höchstem Niveau, die Musikerinnen und Musiker der sächsischen Spitzenorchester. Dabei ist die Nähe zueinander nicht nur eine kollegiale und geographische, sondern oft auch eine familiäre: spielen doch nicht selten Eheleute oder Geschwister in den Ensembles – der eine hier, der andere dort. Wir fragten Ehe- und zwei Geschwisterpaare nach ihrem Blick auf das jeweils andere Orchester.
Sie stimmt mit der Oboe den Kammerton a an, der Bratscher muss ihr widerspruchslos folgen – Undine Röhner-Stolle und Heiner Stolle gehen heiter mit dieser Konstellation um, die sich aus ihrem Platz im Orchester ergibt. »Ich bin wahrscheinlich der einzige Tuttist, der von einer Solobläserin das Frühstück zubereitet bekommt«, lacht Gewandhausmusiker Heiner Stolle und bedient damit wieder einmal den Ruf des munteren, immer zu einem Späßchen aufgelegten Bratschers. Undine Röhner-Stolle, Solooboistin der Dresdner Philharmonie, hält diesen Ton und scherzt: »Die Grundfrage unserer Ehe ergibt sich aus der Konstellation Tuttist und Solobläserin – ich habe als Solobläserin längst nicht so viele Dienste wie mein Mann. Dafür muss ich mehr zu Hause arbeiten, und mein Nervenkostüm wird in meiner Soloposition stärker beansprucht. Vor wichtigen Orchestersoli und Solokonzerten hat mein Mann einiges auszuhalten.«
»Musik ist ein permanentes Thema zwischen uns«, bekennt Heiner Stolle. Nicht nur am Frühstückstisch, sondern bei jeder sich bietenden Gelegenheit tauschen sich beide leidenschaftlich über ihre Tätigkeit und ihre Orchester aus. Das beginnt bei Kritiken, bei denen sich einer mit dem anderen freut, wenn sie positiv sind. »Und wenn es mal eine verletzende Kritik ist, wird man vom anderen gesalbt. Man bestärkt sich gegenseitig in seinem Tun, sonst würde man es manchmal nicht überleben«, erzählt Undine Röhner-Stolle. Die gebürtige Berlinerin, die schon mit 16 Jahren als Jungstudentin zum Studium an die Musikhochschule Leipzig kam und danach eine Anstellung am Großen Rundfunkorchester annahm, fügt hinzu: »Wir haben unerhört viele Themen, über die wir uns austauschen können. Was dem anderen Orchester besser gelingt als dem eigenen, wird regelmäßig besprochen. So ist das Gewandhausorchester deutlich internationaler besetzt und unterwegs als wir. Dafür war ich öfter in Südamerika als mein Mann«, lacht sie. Heiner Stolle wartet seinerseits mit einer Statistik auf: »In 36 Orchesterjahren war ich 3,5 Jahre auf Reisen, darunter gab es 30 Konzerte allein in London.«
Undine Röhner-Stolle gefällt besonders das Leipziger Publikum. »Im Gewandhaus kocht schon mal eher der Kessel hoch als in Dresden. Ich erlebe die Leipziger viel spontaner als die Dresdner. Da beneide ich meinen Mann um sein Publikum. Und nicht nur um das, sondern auch um den schönen Saal«, sagt sie. Heiner Stolle kontert: »Und ich werfe neidische Blicke auf ihre Arbeitszeiten. Ich sage manchmal: ›Guck dir im Familienplaner meine Dienstzeiten an, da ist alles schwarz. Und nun guck mal auf deine ...‹«
Aber im Ernst: Eine Konkurrenzsituation zum Gewandhausorchester habe Undine Röhner-Stolle stärker empfunden, als sie noch Musikerin im MDR-Sinfonieorchester war: »Da habe ich mich immer klein gefühlt in der Nähe zu dem großen Nachbarn mit seinen herausragenden Dirigenten und Solisten«, bekennt die Oboistin. »Heute gehe ich gelassener damit um. Ein gewisses Konkurrenzdenken lässt sich nie ausschließen, und es befruchtet vielleicht auch die Arbeit. Dennoch scheint mir ein Ranking zwischen den Häusern nicht hilfreich zu sein. Es geht doch nur darum: Wie gut macht man Musik auf der Bühne?«
Heiner Stolle, langjähriger Orchestervorstand und heute Stellvertretender Vorsitzender der Gesellschaft der Freunde des Gewandhauses, verweist auf die vielen Anknüpfungspunkte zwischen beiden Orchestern. Zum Beispiel, dass beide städtische Einrichtungen sind und es für beide Orchester Fördervereine gibt. Oder dass im Lauf der Geschichte etliche Musiker von dem einen in das andere Orchester wechselten. Oder dass Kurt Masur Chef der Philharmonie war und zunächst auch noch blieb, als er Gewandhauskapellmeister wurde. »Konkurrenzdenken gibt es meinerseits nicht«, resümiert der Bratscher. »In den acht Jahren, in denen meine Frau bei den Dresdner Philharmonikern spielt, habe ich ihr Orchester gut kennen- und schätzengelernt. Es ist ein junges, lebendiges, dynamisches Orchester mit einer großen Tradition. Und mit dem Orchestervorstand der Philharmonie tausche ich mich oft und gern aus.«
Ein zwischen den Eheleuten oft diskutiertes Thema sind Probespiele und die Kleiderordnung. Einig geworden, welches Vorspielsystem das bessere ist, sind sie sich noch nicht. Während in der Philharmonie die Kandidaten in der ersten Runde hinter einem Vorhang spielen, sieht man im Gewandhausorchester von Anfang an die Bewerber. »Ich bin eher für den Vorhang«, sagt Undine Röhner-Stolle. »Wenn es etwa um eine Trompetenstelle geht und sich dafür eine Frau bewirbt, wäre doch sonst gleich der Daumen unten. Andererseits sieht man bei euch sofort, wie der Betreffende sein Instrument hält.« Auch Heiner Stolle kann dem Dresdner Procedere einiges abgewinnen: »Bei euch geht es in der ersten Runde ausschließlich darum, wer musikalisch der oder die Bessere ist.« Über die weiteren Abstimmungsmodalitäten gibt es aber immer wieder mal Kontroversen zwischen beiden Partnern.
Reine Harmonie dagegen besteht in Sachen Konzertkleidung. Nicht verhandelbar sei das Gebot: bodenlanger Rock oder festliche Anzughose für die Damen und Frack für die Herren. »An der Philharmonie herrscht da ein sehr strenges Regime. Schaue ich mir aber Fernsehübertragungen aus dem Gewandhaus an, sehe ich bei einigen Damen wenn nicht schon das Knie, so zumindest die Wade hervorlugen und sage zu meinem Mann: ›Bei euch wird das aber lax gehandhabt.‹« Heiner Stolle seufzt: »Seit meiner Zeit als Orchestervorstand bin ich als Konfektionalrat verschrien, weil wir damals die Kleiderordnung festgezurrt haben. Es bleibt bei so vielen verschiedenen Persönlichkeiten immer ein schwieriges Thema, zumal es bei den Frauen mehr Möglichkeiten gibt, sich schick zu kleiden als bei uns Männern.«
Keine Frage des Schicks ist, was Heiner Stolle heute schon weiß: »Wenn ich mal pensioniert bin, kaufe ich mir ein Abo für die Philharmonie.« Worauf Undine Röhner-Stolle kontert: »Und ich fürs Gewandhaus!«
»Logistikunternehmen Musikerfamilie«
»Wir sind beide glücklich, in zwei so hervorragenden, dicht beheimateten Orchestern spielen zu dürfen«, sagen übereinstimmend Anne Wiechmann-Milatz und Ulrich Milatz. »Anders ließe sich das ›Logistikunternehmen Familie‹ mit drei kleinen Jungen überhaupt nicht führen.« Die gebürtigen Dresdner haben identische Bratscherstellen in ihren Orchestern inne – er seit 23 Jahren in der Staatskapelle, sie seit 2005 im Gewandhausorchester. Gerade ist der Bratscher mit seinem Orchester von drei Wochen Osterfestspielen aus Salzburg zurückgekommen. Keine leichte Zeit für seine Frau, der für ihren Orchesterdienst die Großeltern und mehrere Babysitter den Rücken freigehalten haben. Nun ist in der Ferienwoche nach Ostern zur Abwechslung mal der Papa stärker in der Elternpflicht, ehe es für ihn auf USA-Tournee geht. »Diese Konstellation des Dienstes in zwei Orchestern hat den Vorteil, dass wir nicht gemeinsam auf Reisen gehen müssen«, erklärt Anne Wiechmann-Milatz. »Sonst wüssten wir gar nicht, wie wir unser Familienleben organisieren sollten.«
Über den familiären Herausforderungen bleibt oft wenig Zeit, sich intensiv über die Tätigkeit des Partners auszutauschen. »Konkurrenz kann es ja nur geben, wenn man haargenau das Gleiche tut«, überlegt Ulrich Milatz. »Das ist bei unseren Orchestern nicht der Fall. Das Gewandhausorchester ist eher ein Konzertorchester, das auch in der Oper spielt, und die Staatskapelle ein Opernorchester, das auch Konzerte spielt – es sind also zwei Paar Schuhe.« Als zwei weltbekannte Spitzenorchester allerdings würden beide auf Augenhöhe agieren. Vergleichbar und ähnlich seien sie in ihren Tourneen. Der Bratscher hat festgestellt, dass die berühmten Säle der Welt von einer Handvoll europäischer Orchester bespielt werden, die die Publikumsmagneten sind. Zu ihnen gehören die Staatskapelle und das Gewandhausorchester. »Mitunter gleichen sich unsere Tourneen aufs Haar. Es werden die gleichen Programme dargeboten, wir haben die gleichen Fluglinien, wir steigen in den gleichen Hotels ab und haben die gleichen Reisebegleiter. Wer von uns zuerst vor Ort war, gibt dem anderen Tipps.«
»Von Konkurrenz unter uns Musikern würde ich nicht reden«, sagt Anne Wiechmann-Milatz. »Die meisten von uns kennen sich gut, sei es vom Studium her oder von den gegenseitigen Orchesteraushilfen. Man macht gemeinsam Musik und tauscht sich aus.« Neidlos blickt die Bratscherin auf das schönere Opernhaus in Dresden. Dafür habe Leipzig das wesentlich schönere Konzerthaus, wirft Ulrich Milatz ein. »Jede Probe findet in einem akustisch wunderbaren Raum statt. Und die Stadt ist großartig. Lebensgefühl und Fluidum hier sind für mich schöner als in Dresden.« Diesem Städteranking setzt Anne Wiechmann-Milatz noch eins drauf: »Mir würden in der Staatskapelle die Motetten und Kantaten mit dem Thomanerchor fehlen, die ich in der Thomaskirche so gern spiele. Diese Aufführungen genieße ich sehr. Die Oratorien und Vespern in der Kreuzkirche gemeinsam mit dem Kreuzchor obliegen ja eher der Philharmonie.«
Musikalisch gibts keine Tabuthemen
»Wunderharfe« soll Richard Wagner einst die Dresdner Hofkapelle genannt haben, erzählt nicht ohne einen gewissen Stolz auf sein legendäres Orchester der Stellvertretende Solobratscher Andreas Schreiber. »... und danach ist er gleich geflohen«, frotzelt sein Bruder, Gewandhauscellist Matthias Schreiber. Gerade ist der Leipziger Musiker als Aushilfe für ein Konzert der Staatskapelle nach Dresden gekommen.
Andreas Schreiber wiederum hat gleichfalls schon oft Aushilfe gespielt – im Gewandhausorchester. Anfängliche Scherze der Brüder über das Höfische und Städtische an ihren Orchestern haben sich inzwischen abgenutzt. Eineiigen Zwillingen gleich stellen sie unisono fest: »Das Gewandhausorchester und die Sächsische Staatskapelle Dresden sind zwei gleichwertige Spitzenorchester, die sich in vielem ähneln, nicht zuletzt in ihren Programmen.« So spiele die Staatskapelle gerade einen Mahler-Zyklus wie das Gewandhaus vor zwei Jahren, und auch Brahms stehe bei beiden Orchestern derzeit stark im Fokus. »Natürlich haben wir in der Semperoper viel mehr Opern auf dem Spielplan als die Leipziger«, ergänzt Andreas Schreiber, woraufhin Matthias Schreiber auf die in Leipzig deutlich höhere Zahl an Konzerten samt den Aufführungen in der Thomaskirche verweist. »Manchmal blickten wir zu DDR-Zeiten aus Leipzig schon ein bisschen neidisch auf Dresden, wenn wir die Namen eurer Gastdirigenten lasen«, erinnert sich Matthias Schreiber und nennt Zugpferde wie Karl Böhm, Wolfgang Sawallisch, Rudolf Kempe und andere. »Das hing sicherlich mit der Geschichte unseres Hauses zusammen«, vermutet Andreas Schreiber. »Einige Dirigenten, die vor dem Krieg hier gastiert haben, nahmen danach den Kontakt zu uns wieder auf.«
Die große Identifikation beider Brüder mit ihren jeweiligen geschichtsträchtigen Häusern zeigt sich auch in ihrem ehrenamtlichen Engagement: Während Matthias Schreiber zehn Jahre lang als Personalratsvorsitzender tätig war und sich auch heute noch als Diensteinteiler und im musikalischen Beirat ehrenamtlich engagiert, wirkt Andreas Schreiber seit elf Jahren im Orchestervorstand mit. »Einen gewissen Lokalpatriotismus haben wir schon«, bestätigen sie, »allerdings geht der nicht so weit, dass wir sagen würden. ›Ätsch, hier sind wir besser als ihr!‹ Zwischen uns gibt es keine Tabuthemen, auch keine musikalischen. Wir reden uns alles von der Seele, aber nur unter vier Augen.«
Bei einigem Nachdenken findet sich schließlich doch noch ein feiner Unterschied, den sie gern zum Besten geben: die goldene Krawatte zum schwarzen Anzug der Dresdner. Sie sei eine Anspielung auf das Zitat von Herbert von Karajan: Die Staatskapelle hätte einen »Klang wie von altem Gold«. »Die können wir uns in Leipzig nicht leisten«, spottet Matthias Schreiber. Der Leipziger Cellist darf sie aber tragen, wenn er am Sonntagvormittag im Dresdner Orchester aushilft. Leihweise.
Jutta Donat


