»Wo man singet, lass dich ruhig nieder,
Ohne Furcht, was man im Lande glaubt;
Wo man singet, wird kein Mensch beraubt;
Bösewichter haben keine Lieder.«
Das Aufgehobensein im gemeinsamen Gesang – was der Kursachse Johann Gottfried Seume vor zweihundert Jahren in ein Gedicht goss, dürfte zu den grundlegenden Bedürfnissen des Menschen gehören: "sich selbst, seine Befindlichkeit und Vitalität mit der Stimme oder einem Instrument auszudrücken und sich im Zusammenspiel und -klang mit anderen zu erleben." (Marion Gerards) Mithin haben wir erkennen müssen, dass auch böse Menschen Lieder haben; dennoch – und gerade – ist "das Singen, das eng mit dem Spracherwerb verbunden ist und körperlich-sinnliche Erfahrungen ermöglicht, (...) mit positiven Emotionen besetzt und prägt sowohl die kulturelle Identität als auch das soziale Zugehörigkeitsgefühl" (noch einmal Marion Gerards).
So sieht denn auch der Sächsische Musikrat e.V. die frühkindliche musikalische Bildung als "unverzichtbare Grundlage für die Förderung begabter und interessierter Kinder" an (Christoph Krummacher). Indes hat Musikrats-Präsident Krummacher Defizite in der elementaren musikalischen Förderung in vorschulischen Bildungseinrichtungen ausgemacht. Eine Ursache liege in der Unzulänglichkeit der musikalischen Ausbildung der Erzieherinnen und Erzieher. "In Sachsen existiert keine zentrale Fortbildung im musikalisch kulturellen Bereich," so der Geschäftsführer des Musikrats, Torsten Tannenberg. Die Folge: die Ausbildung und die Förderung musikalischer Grundbildung in Kindertageseinrichtungen würden zu häufig als notfalls verzichtbar, personalabhängig und durch andere Fächer ersetzbar verstanden.
Um die bestehenden Defizite einmal deutlich zu benennen, die Entscheidungsträger für das Thema zu sensibilisieren und anschließend gemeinsam mit allen Beteiligten Auswege zu suchen, ist das erklärte Ziel eines "Fachtags Musik", der am 7. November in der Landesmusikakademie Sachsen auf Schloß Colditz stattfindet. Ausgerichtet wird er vom Sächsischen Musikrat in Zusammenarbeit mit der Kulturstiftung des Freistaates Sachsen; weitere Partner der kleinen Fachkonferenz sind die Hochschule für Musik und Theater Leipzig und das Sächsische Staatsministerium für Kultus.
So wird Andrea Rittersberger zu Anfang der allgemeinen Frage nachgehen, warum ein kreativer Umgang mit Musik im Kindergartenalltag wichtig ist und wie dieser in der Praxis aussehen kann. Neben der Vorstellung eines Kooperationsprojekts einer Kita und einer Musikschule aus dem Leipziger Raum (Jörg Clemen) und der Diskussion von "Pro und Kontra von Pilotprojekten am Beispiel »Klingende Kita« im Land Brandenburg (Thomas Falk, Susanne Arndt) erwartet die Teilnehmer eine umfassendere Analyse der Ausbildung von Erziehern in Sachsen (Sabine Voigt); und ebenda müsse angesetzt werden, sagt Torsten Tannenberg, wenn die augenblickliche Situation grundlegend verbessert werden soll. Werde doch diese Ausbildung momentan durch eine verwirrende Vielzahl von verschiedenen Ausbildungseinrichtungen in privater und kirchlicher Trägerschaft (mindestens fünfunddreißig allein im Freistaat!) übernommen; "eine Ausbildung, die den spezifischen Anforderungen einer Kindertageseinrichtung gerecht wird, gibt es momentan schlicht nicht." Der Stand der musikalischen Ausbildung der Erzieher sei grundsätzlich vom Eigenengagement der Studenten abhängig; und das momentane Potpourri an pädagogischen Konzepten von Erzieherinnen und Erziehern auf der einen und externen Musikpädagogen auf der anderen Seite befördere die Unsicherheit in den einzelnen Einrichtungen: "Ja, wie denn nun?"
Die Träger der Kindertagesstätten, aber auch viele Eltern hätten die entsprechenden Herausforderungen erkannt und versuchten nun, den Zustand durch vielfältige Initiativen zu "reparieren", wie Tannenberg es ausdrückt. Viele Modell- und Pilotprojekte zumeist auf kommunaler Ebene oder auf Privatinitiative der Eltern hätten Einzelfalllösungen erzeugt. Einige davon beispielhaft herauszugreifen und vorzustellen und schließlich mögliche Auswege aus dem momentanen "Reparaturbetrieb" aufzuzeigen, soll in Colditz gelingen.
Anders Winter
