Allgemein |

Theater im Theater

Henri Maier, Fabio Luisi, Serge Dorny: vom lustigen Ämterroulette im Kulturbereich mit hohen Folgekosten können im Freistaat Sachsen ganze Arien gesungen werden. Beobachtungen im kulturellen Schlaraffenland, wo viel Geld für Künstler fließt, die gar nichts dafür können müssen.

Professionalität sieht anders aus. Professionell ist es jedenfalls nicht, wenn an einem Freitag im Februar sechs Minuten nach zwölf Uhr eine E-Mail verschickt wird, aus der hervorgeht, dass der künftige Intendant der Sächsischen Staatsoper noch vor seinem Amtsantritt geschasst worden ist. Professionell ist es auch nicht, wenn die betroffene Person – der Belgier Serge Dorny, zur Zeit noch Intendant der Oper Lyon – von diesem Vorgang eigener Darstellung zufolge durch Presseanfragen erfährt. Man könnte auch übertrieben höflich sein und Fragen formulieren: Ist es professionell, für solche Mitteilung just einen Freitag zu wählen, an dem abends sowohl an der Semperoper als auch am Lyoner Opernhaus Premieren stattfinden? Dass für etwaige Rückfragen – als hätte die niemand erwartet! – lediglich ein Staatssekretär ansprechbar bleibt?

»Kunstministerium beendet Vertrag von Serge Dorny für die Semperoper Dresden« stand im Betreff. Die Überraschung war groß. Zunächst. Nach kurzem Nachdenken reimte sich diese Kündigung aber doch auf allerlei Kantinengeflüster, das von hinter den Kulissen kam und bereits deutlichen Dissens vermittelte. Demnach solle Dorny im Vorfeld sehr autoritär aufgetreten sein, geradezu diktatorisch. Französischer Charme oder belgischer Feinmut oder weltmännisches Einfühlungsvermögen? Fehlanzeige en gros et en detail.

Theater im Theater, das ist ja keineswegs neu. Fairerweise muss erst einmal nachgefragt werden, wer da wohl wann und wo falsche Vorstellungen hatte vom Umgang mit einer solchen Personalie im Freistaat. Notwendig wurde sie mit dem Tod von Ulrike Hessler, der bisherigen Intendantin, im Sommer 2012. Sachsens Staatsministerin für Wissenschaft und Kultur, Sabine von Schorlemer (parteilos), landete regelrecht einen Coup, als sie gut ein Jahr später bekanntgab, dass der 1962 in Belgien geborene Serge Dorny die Nachfolge antreten solle. Der hatte zuvor am Theatre de la Monnaie in Brüssel, bei den Londoner Philharmonikern sowie am Glyndebourne Festival gewirkt. Nach langer Verhandlungszeit, sechs Monaten immerhin, war der Vertrag perfekt und durfte sich sächsisches Opernland wieder Hoffnungen machen, zum Welttheater mit dazuzugehören.

Ein Blick über kleinstaatliche Landesgrenzen ins Anhaltinische – ja, ja, das ist dort, wo die Leute früher schlafen gehen als anderswo – zeigt, wie berechtigt der Stolz Sachsens ist. Oder sein könnte. Denn auch im Freistaat wurde schon fleißig fusioniert. Man denke nur an die eingesparte Elblandphilharmonie, deren Mitglieder das sinfonische Musiktheater der Landesbühnen zu verantworten haben.

Doch zurück nach Dresden. Wenige Jahre ist es her, dass die molto furioso vorgetragene Ansage »Er oder ich!« eine rasche Stab-Übergabe von Ex-GMD Fabio Luisi an Chefdirigent Christian Thielemann nach sich zog. Und zu einem geflügelten Wort wurde, das so manchem Opernfreund nun wieder in den Sinn gekommen sein dürfte. Aber ging es tatsächlich um Dorny oder Thielemann? Hatte der französische Belgier nicht Einblick genug in die Situation erhalten, um professionell schlussfolgern zu können, wie die Machtverhältnisse an seinem künftigen Wirkungsort verteilt sind? Er sei darüber im Unklaren geblieben, ließ er verlauten, verriet aber nichts von einem Forderungskatalog, mit dem er die sächsische Staatsministerin für Wissenschaft und Kunst unter Druck gesetzt haben soll. Das offerierte Sabine von Schorlemer der zahlreich erschienenen und auf Neuigkeiten im jüngsten sächsischen Opernstreit erpichten Journalisten vier Tage nach Bekanntgabe ihrer Entscheidung bei einer eilends einberufenen Pressekonferenz. Dorny habe seitenlange Nachbesserungen verlangt und der Ministerin dafür ein Ultimatum gestellt. Sollten seine Wünsche nicht zur Gänze erfüllt werden, würde er kündigen.

Immer wieder gern gehört: »Er oder ich!«

Bislang offen ist, warum die Politik nicht darauf eingegangen und stattdessen Dornys Pokerrunde mit der fristlosen Kündigung seitens des Freistaats begegnet ist. Hätte man sich mit einem solchen Schritt nicht immense finanzielle Nachforderungen ersparen können? Denn der nächste Akt in dieser Tragödie der Missklänge dreht sich garantiert erst einmal ums Geld. Um viel Geld, denn in Lyon wird Serge Dorny kaum wieder verlängern können und auf die 300.000 Euro Jahressalär, mit denen sein sächsischer Fünf-Jahres-Vertrag gewürzt war, wird er gewiss nicht komplett verzichten. Da werden also reichlich Steuergelder fließen, ohne dass der Steuerzahler irgendwas davon hat.

Womöglich hoffen alle Beteiligten, dieser Transfer würde ähnlich schweigsam über die Bühne gehen wie seinerzeit beim vorzeitigen Weggang von Fabio Luisi – oder ist je etwas über den Ausgang des damals angedrohten Rechtsstreites verlautbart?

Opernhafte Folgekosten

Wer nun aber denkt, der Abschied von einem designierten Intendanten noch vor dessen Amtsantritt sei ein Unikat in der an Absurditäten nicht eben armen Musiktheaterlandschaft, der irrt und sollte sich an den einstigen Semper-Intendanten Christoph Albrecht erinnern. Als der Dresden verließ, hatte er die Bayrische Staatsoper München vor Augen – die ihm mangelnde Führungsqualitäten attestiert und anstelle des Vertragsantritts eine gütliche Einigung finanziert haben soll.

Politische Fehlentscheidungen mit teuren Folgen: davon können in Sachsen ganze Arien gesungen werden. Beispielsweise in Leipzig, wo ein so unambitionierter wie glanzloser Kulturdezernent Ende der 1990er Jahre den Franzosen Henri Maier aus dem Hut gezaubert hatte, um diesen Magier schöner Worte die Nachfolge Udo Zimmermanns anzuvertrauen. Ein gewagtes Experiment, aber immerhin ein Versuch in Richtung Populismus. Diese Personalie dann jedoch mit einem Riccardo Chailly zu verbinden, das war von Anfang an ein Ding der Unmöglichkeit. Umso erstaunlicher, dass Maier ohne jede Notwendigkeit eine Vertragsverlängerung erhielt – um wenig später (diesmal Chailly: »Er oder ich!«) auf Steuerzahlerkosten eine besonders üppig vergoldete Form der künstlerischen Frühverrentung anzutreten.

Dass dort in nur einem weiteren Aufzug Antipoden wie Dirigent Riccardo Chailly und Regisseur Peter Konwitschny vermittels eines kommissarischen Opernverwalters gemeinsam künstlerisch tätig sein sollten, muss im klammheimlichen Delirium ausgedacht worden sein. Die öffentliche Ernüchterung folgte alsbald – Chailly dirigiert schon lange nicht mehr in der Oper (brachte aber als Gewandhauskapellmeister sein Orchester prächtig voran) und Konwitschny wurde aufs betreute Altenteil geschickt. Opernhafte Folgekosten alles in allem gut eine Million Euro. Für nichts. Für gar nichts. Die dazugehörende Pressemitteilung wurde übrigens unmittelbar vor Weihnachten verschickt. Da kann man im Staatsministerium noch dazulernen.

Dresden nennt sich gern Landeshauptstadt und will natürlich alles gerne noch teurer haben, noch viel teurer. Auch wenn selbstverständlich wesentlich lieber darüber geredet wird, dass nun umgehend eine neue Intendantensuche gestartet wird. Damit ist alles auf Start. Oder auf Null.

Michael Ernst

Bei der Pressekonferenz am Dienstag erklärte die Kunstministerin Sabine von Schorlemer, wie es nach der fristlosen Entlassung des Staatsopern-Intendanten nun weitergeht: »Wir werden die Findung neu aufs Gleis setzen.« Ob es indes statthaft ist, vor der La

Werbung