Interview |

»Wer Musik studieren will, den kann und soll man nicht abhalten...«

Dorothee Oberlinger studierte Blockflöte in Köln, Amsterdam und Mailand. Sie ist regelmäßig zu Gast bei großen Festivals und Konzertreihen in ganz Europa, Amerika und Asien. Seit 2004 ist sie Professorin an der Universität Mozarteum Salzburg, wo sie angehende Blockflötistinnen und -flötisten unterrichtet. Blockflöte studieren? Ja - das geht! Aber kann man vom Musizieren leben?

Dorothee Oberlinger, einerseits ist die Blockflöte für Musikschüler noch immer ein vergleichsweise populäres Instrument; andererseits werden die großen musikalischen Schlachten längst anderswo geschlagen… Wenn ein Student zu Ihnen kommt und Sie um Rat fragt: können Sie ihm guten Gewissens raten, mit dem Instrument künftig seinen Lebensunterhalt zu bestreiten?

Im Moment kann man doch keinem jungen Menschen ernsthaft vernunftsmäßig dazu raten, Musik zu studieren. Man muss erst einmal davon ausgehen, dass die Kunst einigermaßen brotlos bleiben wird. Doch wer es wirklich will, den kann und soll man nicht davon abhalten. 

Wenn mir junge Leute vorspielen, versuche ich herauszufinden, ob sie das "gewisse Etwas" haben und daraus etwas entwickeln können. Es geht am Ende des Tages doch darum, wie tief ein Künstler uns ins Mark, ins Herz treffen kann. Und da ist es ganz egal, auf welchem Schlachtfeld wir uns tummeln und ob wir es mit einer teuren pompösen Opernproduktion, einem prestigereichen Sinfonieorchesterkonzert oder einem populären bzw. gerade nicht so populären Instrument zu tun haben.​..​

Wie machen Sie ​eigentlich ​das Publikum neugierig auf das Repertoire des 17. und 18. Jahrhunderts? Welche musikalischen Mischungen programmieren Sie beispielsweise als Intendantin von Barockfestspielen?

Das Programm der Arolser Barock-Festspiele besteht traditionell immer aus einer Mischung von unterschiedlich groß besetzter sakraler und weltlicher Instrumental- und Vokalmusik der Barockzeit. Meistens habe ich bestimmte Künstler oder Ensembles im Kopf, die ich unbedingt einmal nach Bad Arolsen holen möchte, die bekommen dann meist eine "carte blanche" und bringen Programme mit, an denen sie aktuell arbeiten. Bei einem Künstlergespräch haben die Konzertbesucher dann auch die Gelegenheit, die Künstler im Vorfeld des Konzerts näher kennenzulernen und sich auszutauschen. Manchmal gibt es auch Themenschwerpunkte oder ein Motto, letztes Jahr ging es z.B. um die Temperamentenlehre. An einem Tag tauchten wir in die Melancholie französischer Cembalomusik des 17. Jahrhunderts ein und kamen uns fast vor, wie bei einer Meditation - am anderen Tag berauschten wir uns an cholerischen süditalienischen Tarantellen. Das war eine explosive Mischung.

​Wenn wir ​jetzt allerdings ​noch einen Schritt zurücktreten: Christina Siegfried schrieb einmal, wie die Musik Telemanns half, die politisch empfundenen Grenzen künstlerisch zu überschreiten und dabei dem „Fremden“ stets Respekt entgegenzubringen. Das hört sich für mich nach einem Rezept an, das heute noch Gültigkeit beanspruchen darf. Trotzdem, vielleicht etwas provokant gefragt: ist das Aufführen dreihundert Jahre alter Musik Weltflucht, oder hat sie ​auch ​Berührungspunkte mit unserem Leben heute?

Die jungen Leute von heute gehen auch gerne mal in einen Science-Fiction- oder Historienschinken, der in andere Zeiten und Räume entführt.

Das war auch früher nicht anders. Wenn man zur Zeit des Barock beispielsweise in die Oper ging, wollte man sich entführen lassen. Man wollte sich in Affekte versetzen lassen, Freude, Euphorie, Wut, alles mitempfinden, mitzittern, eine Gänsehaut bekommen. Die Menschen von damals waren da nicht anders als heute - und deswegen funktioniert die Musik des 17. und 18. Jahrhunderts auch noch immer genauso und tut ihre Wirkung. Weltenflucht ist erstmal ja nichts Negatives, im Gegenteil, sie ist notwendig zur Rekreation des Geistes und setzt einen erfrischenden Akzent als Kontrapunkt zum Alltagsleben.

​Vielen Dank für das Gespräch!​
(Die Fragen stellte Martin Morgenstern)

Die Blockflötistin Dorothee Oberlinger ist heute Abend beim »Musikfest Erzgebirge« zu Gast.
Foto: PR

Das gesamte Interview können Sie im Programmheft des »Musikfestes Erzgebirge« nachlesen.

Konzerttipp:

»Barbarische Schönheit«

Mo, 15. September 2014 | 20 Uhr, Zwönitz, Trinitatiskirche

Werke von Georg Philipp Telemann (1681–1767),

Adam Jarzębski (1590–1649) und 

František Jiránek (1698–1778)

Ensemble 1700

Dorothee Oberlinger (Blockflöte und Leitung)

Vittorio Ghielmi (Viola da Gamba und Pardessus de Viole)

Michael Schmidt-Casdorff (Traversflöte)

Konzerteinführung 18:45 Uhr | Festsaal im Gasthof Zwönitz | Dr. Andreas Bomba

<link http: www.musikfest-erzgebirge.de programm.php>Weitere Informationen

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