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Woher die neue Liebe zur Kulturellen Bildung?

Max Fuchs und Helle Becker hinterfragen auf der Wissensplattform »Kulturelle Bildung Online« die aktuelle Kultur- und Bildungspolitik und problematisieren die Folgen für die Kulturpädagogik.

„Um es vorweg zu nehmen: Diese gesellschaftlichen Entwicklungstendenzen bedeuten nicht, dass man nunmehr kulturelle und ästhetische Bildung als trojanisches Pferd neoliberaler Vereinnahmungstendenzen zu verstehen hat“, schreibt Max Fuchs. Aber sie stellen für die Akteure im Feld von Kunst, Kultur und Bildung eine Herausforderung für erneute Denkanstrengungen dar. Folgende Fragen stehen im Raum: Woher kommt die neue Liebe zur Kulturellen Bildung? Wieso zeigen Schulen, Unternehmen und vor allem Stiftungen, die mit privatem Geld arbeiten, ein verstärktes Interesse an dem Arbeitsfeld der Kulturellen Bildung? Wollen diese „neuen Freunde der Kultur“ wirklich eine kulturelle Bildungspolitik, die humanistischen Zielen verpflichtet ist und die soziale Wirkungsmacht der Künste zulässt? Und was passiert in den neuen Formaten und Angeboten Kultureller Bildung, wenn nicht mehr das Subjekt, seine Partizipation und Emanzipation und eine ästhetisch-künstlerische Praxis „als alternative Erkenntnisform, Störung und Widerspruch“ (Becker) im Mittelpunkt stehen, sondern politische Erwartungen und Interessen anderer Art?

Fuchs warnt in seinem Fachbeitrag auch vor einem „Enteignungsprozess“ bezüglich der Umdeutung pädagogischer Leitbegriffe: „Was ursprünglich zur Vision eines autonomen Subjekts gehört hat, nämlich die Selbstgestaltung des eigenen Lebens, wird im Rahmen der neoliberalen Denkweise zur vollständigen Überantwortung der Lebensrisiken auf den Einzelnen. In dieser Denkweise wird aus dem autonomen Subjekt eine Ich-AG, ein Unternehmer der eigenen Arbeitskraft.“ Besonders deutlich zeige sich dies beim Zuspruch zum Begriff der Kreativität, dem „Mantra des Neoliberalismus“: Es sei versäumt worden, kritisch zu hinterfragen, welche Form von Kreativität überhaupt wünschenswert und zu fördern sei.

„Die dunkle Seite des Hypes“

Zur „dunklen Seite des Hypes“, schreibt Helle Becker, gehört die Begründung der Relevanz Kultureller Bildung mit ihrer förderlichen Wirkung für den sozialen Zusammenhalts und die gesellschaftliche Integration. „Das ist ja nicht falsch. Liegt aber verdammt nah an der Vorstellung von Kunst und Kultur als Kitt. [...] Die Betonung des Wertes Kultureller Bildung für die Allgemeinbildung – im Gegensatz zur Betonung ihres Eigenwerts als Teil von Allgemeinbildung – macht es Öffentlichkeit, Politik, Behörden und Institutionen wie Schulen leicht, Träger Kultureller Bildung und ihre Angebote als Dienstleister für Bildung unter anderen zu betrachten.“

Eindringlich fordern Fuchs und Becker die Akteure in der Kulturellen Bildung zu mehr kritischem und politischem Denken und Handeln auf. Fuchs schreibt weiter: „Es wäre naiv zu glauben, eine heutige Kulturpädagogik könne sich aus dem Spiel um Macht und Einflussnahme heraushalten. […] Dass Kultur, Künste und das Ästhetische noch nie in ihrer Geschichte politisch neutral waren, wird angesichts eines hochideologischen Autonomiediskurses in den letzten 200 Jahren häufiger vergessen. [...] Nicht zuletzt haben die historischen und systematischen Studien von Michel Foucault gezeigt, wie sich bei der Entwicklung der modernen Gesellschaft auch die Form der Machtausübung verfeinert hat. Ästhetische Inszenierungen spielen hierbei eine wichtige Rolle. Aus pädagogischer Sicht bedeutet dies meines Erachtens, dass man sich im Bereich der kulturellen Bildungsarbeit nicht auf eine bloß ästhetische Praxis in einem (vermeintlich) herrschaftsfreien Raum zurückziehen kann, sondern dass es vor dem Hintergrund des Bildungszieles der Herstellung von Bewusstheit und Mündigkeit, zu der wesentlich auch die Entwicklung einer kritischen Widerstandsfähigkeit gehören, auch notwendig ist, diesen Zusammenhang von Kunst und Macht aufzuzeigen.“

Die Debatte um die „Neoliberale Vereinnahmung der Kulturellen Bildung“ ist eröffnet. Alle Nutzer/innen der Plattform Kulturelle Bildung Online sind eingeladen, sich einzumischen – sei es durch Kommentare oder eigene Fachbeiträge.

Hildegard Bockhorst, Dipl.- Päd., Erziehungswissenschaftlerin und Kulturpädagogin, bis 2013 Geschäftsführerin der Bundesvereinigung Kulturelle Kinder- und Jugendbildung (BKJ). Arbeitsschwerpunkte: Konzeptentwicklung für Theorie und Praxis Kultureller Kinder- und Jugendbildung, Vernet­zung und Infrastrukturentwicklung, Jugend- und Kulturpolitik. Projektreferentin für www.kubi-online.de.

Foto: www.kulturagenten-programm.de

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